Dr. Dr. Hans Rapp ist Tierarzt (Fachrichtung Pferde) und ausgebildeter Bereiter und Richter (FN). Er war selbst viele Jahre im Vielseitigkeits-, Spring- und Dressursport aktiv. Der Röttenbacher hat bereits rund 100 Publikationen und Fachvorträge zu Themen aus dem Pferdesport sowie der Tiermedizin veröffentlicht. Darüber hinaus ist er Autor pferdemedizinischer Fachbücher. Seit 1988 leitet er seine eigene Praxis in Röttenbach/Fränkisches Seenland. In einer Reihe ausgewählter Kurztexte schildert der 63-jährige Erlebnisse, die er als Reiter und Richter während seiner bisherigen Laufbahn erlebt hat.
Reiten statt Meckern
Reiten trainiert nicht nur den Körper von Tier und Mensch. Der richtige Umgang mit Pferden hat auch eine wichtige pädagogische Wirkung auf den Menschen. Die Teilnahme bei Turnieren ist besonders lehrreich. Dabei spielen neben dem Pferd auch Ausbilder, Trainer, Reitlehrer, Richter und nicht zuletzt die Eltern von jungen Reitern eine maßgebliche Rolle, wie das folgende Beispiel zeigt: Nach Beendigung einer Dressuraufgabe der Klasse M fühlte sich ein noch junger Reiter zu schlecht beurteilt. Tatsächlich hätte man ihn auch weiter vorne rangieren können, aber gegen die bekannten Lokalmatadoren war es zu schwer gewesen, sich durchzusetzen. Unglücklich lamentierte er bei seinen Begleitern über die Wertnote. Aber statt ihn in seinem Unmut zu unterstützen und ihn noch weiter aufzustacheln oder gar eine Beschwerde bei den Richtern anzubringen, meinte der Vater des Reiters: „Sei doch glücklich und zufrieden über die Leistung von Dir und Deinem Pferd. Es braucht manchmal etwas Zeit, bis man Können und Qualität eines Künstlers – und das seid Ihr Dressurreiter ja – erkennt. Statt jammern musst Du schlicht und einfach so gut reiten, dass die Richter Dich nicht mehr übergehen können. Dann wird es auch einmal vorkommen, dass Du ungerechtfertigter Weise zu gut bewertet wirst und sich alles ausgleicht“. Sofort beruhigten sich die Gemüter und der Blick richtete sich nicht mehr zurück zu der gerade so unglücklichen Bewertung der M-Dressur, sondern nach vorne auf die kommenden Aufgaben und neuen Chancen, das reiterliche Können unter Beweis zu stellen.
Es ist nämlich nicht gut, junge Menschen in ihrem Frust zu bestärken. Mit Jammern und Meckern erreicht man in der Regel wenig oder gar nichts oder sogar das Gegenteil. Was geschehen ist, ist geschehen und muss abgehakt und vergessen werden. Gerade im Sport kann, sollte und wird man lernen, auch einmal eine Ungerechtigkeit einstecken zu können. Der Umgang mit Pferden, besonders das Reiten von Prüfungen auf Pferdeleistungsschauen bietet nicht nur Freude und Befriedigung durch die erreichten Erfolge, sondern lehrt genauso oft durch Niederlagen und Pech, mit Frustgefühlen umzugehen. Im Leben geht es auch immer auf und ab. Oft folgt einem Erfolg eine Niederlage, wechseln sich Freude und Frustration ab, kommt nach einem Triumph die Katastrophe, schwanken wir zwischen Glaube, Zweifel, Sorgen, Hoffnung und Enttäuschung. Daher bedeutet Reiten auch lernen für das Leben. Diese Anekdote erinnert an die Worte von Major a.D. Paul Stecken „Richtig Reiten reicht!“
Ein prägendes Erlebnis
Früher konnte man auch bei größeren Turnieren Reiter und Pferde hautnah bei der Vorbereitung auf eine Prüfung am Abreiteplatz beobachten. Ein Richter, der die Aufsicht auf dem Vorbereitungsplatz zu einer Dressurprüfung der Klasse M hatte, war Zeuge folgender Begebenheit: Ein Vater und sein 16-jähriger Sohn unterhielten sich am Rand des Platzes mit einem Reiter über ein Pferd, das dieser gerade auf die Prüfung vorbereitete. Anscheinend ging es um einen eventuellen Kauf. Plötzlich fragte der Junge: „Wie gehen eigentlich die Hilfen zum Angaloppieren?“ „Ich will´s Dir zeigen. Schau‘ genau zu!“ kam als Antwort. Der Reiter versetzte sein Pferd ruhig in den Schritt, nahm langsam die Zügel auf, drehte eine große Volte und in dem Moment, als er in der Höhe von Vater und Sohn war, sprang sein Pferd ohne erkennbare körperliche Veränderung in einen gelassenen Galopp. Nach wenigen Galoppsprüngen kam das Pferd wieder in den Schritt und der Reiter wandte sich an den jungen Mann: „Und, hast Du gesehen, wie die Hilfen zum Angaloppieren sind?“ „Nein, ich konnte nichts erkennen“, war die erstaunte Reaktion. „Siehst Du Junge, so sind die Hilfen zum Angaloppieren“, meinte der Reiter „Und so sollten alle Hilfen beim Reiten sein – unsichtbar“. Dieses Erlebnis hat die gesamte, weitere reiterliche Laufbahn des Jungen nachhaltig und positiv geprägt. Die Anekdote erinnert an einen Satz von Reitmeister Hans Max-Theurer: „Alles bewegt sich, nur die Beine des Pferdes nicht!“