Einen Tag lang führte der ehemalige Bundestrainer der deutschen Vielseitigkeitsreiter, langjähriger Leiter der Westfälischen Reit- und Fahrschule Münster und Mitglied im Aufsichtsrat von Xenophon e.V., Martin Plewa, Anfang April in die theoretischen und praktischen Grundkenntnisse korrekter Losgelassenheit sowohl beim Pferd als auch beim Reiter ein. Der Einladung von Marianne Kähler, Xenophon-Regionalvertreterin für Hessen, die das Seminar auf der Reitanlage Oberwald in Rodgau-Weiskirchen organisiert hatte, folgten rund 50 Teilnehmer/-innen. Unter Ihnen zahlreiche aktive Reiter, Interessierte und Trainer. Strahlende Reiter-Gesichter und tobender Beifall inklusive!
Im theoretischen Teil erklärte Plewa zunächst, dass es für den Trainer manchmal gar nicht so einfach ist zu erkennen, woran eine augenscheinliche Disharmonie zwischen Reiter und Pferd nun eigentlich liegen könnte. Liegt es am noch nicht gelösten Pferd oder am verkrampften Reiter? Der zentrale Ankerpunkt ist dabei die Losgelassenheit, welche die Voraussetzung für positive Ausbildungs-, Lern- und Trainingseffekte sowie für alle weiteren Punkte der Ausbildungsskala bilden. Als erster Schritt auf dem Weg zu einem losgelassenen Pferd steht für Plewa ein losgelassener Reiter, der ausbalanciert im Gleichgewicht sitzt, unabdingbar. Je ausbalancierter ein Reiter sitzen kann, desto losgelassener kann er in die Bewegungen des Pferdes eingehen.
Dabei betonte Martin Plewa, dass die Losgelassenheit – also das unverkrampfte, rationelle, ökonomische An- und Abspannen der Muskulatur – nur durch Zwanglosigkeit erreicht werden könne. Neben der reinen körperlichen Betrachtung legte Plewa den Fokus auch auf die innere, sprich die mentale Losgelassenheit: Diese sei nur dann erreichbar, wenn Reiter und Pferd ohne Hektik und Frust agieren. Dabei gilt es für den Reiter stets auch die Natur der Vierbeiner im Blick zu haben und entsprechend situationsgerecht auf das Pferd einzugehen. Nur so ließe sich die innere Losgelassenheit erreichen.
Einfach mal etwas mehr Platz nehmen!
Beim Reiten von Paraden, so erläuterte Plewa, sei es besonders wichtig, die Losgelassenheit sowie die damit einhergehende Rückentätigkeit des Pferdes stets zu erhalten. „Eine belastende Gewichtshilfe darf die Rückentätigkeit niemals behindern. Der Spruch ‚Kreuz anspannen’ bewirkt lediglich einen quetschenden Schiebesitz, der dem Pferd nur den Rücken nach unten wegdrückt und es dem Hinterbein erschwert, weiter vor zu fußen. Viel besser wäre daher eine Anweisung wie ‚Etwas mehr Platz nehmen’“, führte Plewa aus. Martin Plewa setzte daher in der Ausbildung des Reiters das vorrangige Ziel in die Bildung des Gespürs für die Bewegungen des Pferdes. Am ehestens sei dies im leichten Sitz zu erlernen. Erst nachdem dieses Gespür vorhanden sei, stehen die Hilfengebungen des Reiters an. Und auch erfahrenen Reitern rät Plewa: „Wer immer mal im Vielseitigkeitssattel reitet, verhindert ein Festwerden der Mittelpositur, die sich im Dressursattel oft versteift.“
Takt und Dehnung zur Überprüfung der Losgelassenheit
Martin Plewa führte aus, dass nur ein losgelassenes Pferd im Takt gehen könne. Aber auch die Dehnungsbereitschaft, als Ergebnis eines losgelassenen Pferdes, sei ein zentraler Maßstab zur Überprüfung. Dabei ist für Plewa wichtig zu betonen, dass sich die Dehnungsbereitschaft unter keinen Umständen erzwingen lässt. Vielmehr ist es die Folge aus einem an die Reiterhand herantretenden und die Anlehnung suchenden Pferdes, bei dem das Genick nach vorne kommt und die Muskulatur völlig losgelassen ist. Hierdurch können dann Schwung und Schubkraft entfaltet werden, die wiederum die Anlehnung verbessert. Ergo: Zu eng ausgebundene oder eingestellte Pferde können nicht in die Losgelassenheit finden, vielmehr verkrampft ihre Muskulatur.
Positive Spannung: Der Spannungsbogen
Eigentlich kann ein Pferd von Natur aus keinen Reiter tragen. Denn Grundsätzlich ist die Rückenmuskulatur des Pferdes keine Haltemuskulatur, sondern eine Bewegungsmuskulatur. Lediglich durch die obere Verspannung, bestehend aus dem Nacken- und Rückenband, ein circa fünf Centimeter starker, sehniger Strang vom Kopf bis zum Kreuzbein, stabilisieren wir den Rücken des Pferdes. Dabei versucht die klassische Reitweise einen Spannungsbogen zu erzeugen: Durch eine vorwärts-abwärts gedehnte Oberhalslinie sowie die nach vorn durchschwingenden Hinterbeine zieht das Nackenband die Dornfortsätze des Widerrists nach vorn. Gleichzeitig zieht das Rückenband so die Dornfortsätze im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule nach hinten. Die Folge: Der Rücken des Pferdes wird angehoben, der Lange Rückenmuskel kann entspannt arbeiten und bleibt frei beweglich. Das Pferd kann den Reiter tragen und sein Gleichgewicht halten.
„Ziel der klassischen Reitlehre ist nicht, das Pferd tief einzustellen. Der Begriff „vorwärts-abwärts“ gilt nur für die Dehnungshaltung in der Hals-Oberlinie. Das Pferd soll sich lediglich aus dem Widerrist heraus nach vorne dehnen. Das Pferd soll nicht auf die Vorhand geritten werden. Viel wichtiger ist es, dass gleichzeitig auch die Hinterbeine nach vorne durchfußen. Denn nur dann kann der Spannungsbogen entstehen und der Rücken kann frei schwingen, ergänzt Martin Plewa. „Ein tief eingestelltes oder in ‚Rollkur’ gerittenes Pferd ist nicht dehnungsfähig und somit auch nicht dehnungsbereit. Vielmehr arbeiten die Hinterbeine immer weiter nach hinten raus, anstatt nach vorn unter den Schwerpunkt.“
Ohne Losgelassenheit, keine Skala der Ausbildung!
Eine fehlende Losgelassenheit wirke sich laut Plewa auch auf andere Punkte der Skala der Ausbildung aus: So seien Taktfehler, aufgerollte Pferde hinter der Senkrechten, zu wenig Schwungentfaltung und Schub aus der Hinterhand sowie ein festgehaltener Rücken oder Schwebetritte häufig Anzeichen für ein nicht losgelassenes Pferd.
Ist die Losgelassenheit einmal erreicht, gilt es, sie immer wieder neu herzustellen und zu verbessern. Hierfür gab Martin Plewa auch einige Beispiel-Lektionen zum Lösen, wie das Reiten im Schritt am hingegeben Zügel (immer die Nickbewegung zulassen) oder Schritt-Trab-Übergänge oder Tempo-Unterschiede im Galopp. Um die Losgelassenheit zu verfeinern, bieten sich laut Plewa beispielsweise die Bodenarbeit, das Longieren oder die Cavaletti-Arbeit an. Insbesondere im Trab wird über den Cavalettis das Gleichgewicht verbessert, da sich die Schwebephase verlängert. Die Hinterbeine kommen weiter hoch und fußen weiter vor – eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung der Tragkraft. Aber auch das Reiten am Hang, das so genannte Hangbahn-Training, seien gute Möglichkeiten sein Pferd zu lösen, so Plewa. Damit die Losgelassenheit beim Erarbeiten schwierigerer Lektionen, wie beispielsweise den Traversalen, erhalten bleibt, sollte man diese immer wieder unterbrechen.
Losgelassen heißt: Alles im Flow!
Zur Überprüfung der Losgelassenheit gibt uns das Pferd einige Anzeichen: Neben einem zufriedenen Ausdruck und einem schwingenden Rücken, sollten Reiter auch auf ein geschlossenes Maul und stetes Abschnauben achten. Die Muskulatur spannt sich erkennbar an und ab, die Hinterhand schwingt vermehrt nach vorne durch. Aber auch ein getragener und ruhig pendelnder Schweif sowie die Akzeptanz der treibenden Hilfen seien sichere Anzeichen für einen losgelassenen Vierbeiner.
Im Bann der Ausführungen von Martin Plewa vergingen die ersten zwei Stunden wie im Fluge. Nach einer Mittagspause ging es für die Teilnehmer zum praktischen Teil in die Reithalle. Fünf Reiter-/innen unterschiedlicher Ausbildungsklassen erhielten auf ihren eigenen Pferden die Möglichkeit mit Martin Plewa die Theorie in die Praxis umzusetzen. Dabei ging Martin Plewa ruhig und dennoch klar auf die Reiter ein, gab Tipps und erklärte ganz praxisnah, wie sich eine Losgelassenheit erarbeiten lässt. So gab es bei der ein oder anderen Reiterin wahre Glücksmomente und ein strahlendes Lächeln. Und auch das Publikum konnte seine Begeisterung oftmals nicht zurückhalten. Fazit: Wiederholung unbedingt erwünscht!
Natürlich bedanken wir uns ganz herzlich bei Familie Wolf, die uns freundlicherweise wieder ihre Reitanlage zur Verfügung gestellt hat.