Wie schwierig die Ausbildung des Dressurpferdes ist und wie mannigfaltig die Probleme sind, die einem auf dem Weg begegnen können, das zeigte in eindrucksvoller Weise das offene Training von Johann Riegler und der stellvertretenden Xenophon-Vorsitzenden Karin Lührs Mitte Dezember auf dem Hof
Lührs in Neversdorf, Schleswig-Holstein. Der ehemalige Oberbereiter der Spanischen Hofreitschule in Wien ist regelmäßig bei der Ausbilderin und Trainerin zu Gast, um mit Lührs (die ja selbst noch aktiv im Turniersport bis Grand Prix ist) und ihren Schülerinnen Unterricht zu geben.
Als „Anschauungsobjekte“ im Laufe des gut dreistündigen Seminars dienten drei Reiter-Pferd-Paare auf
unterschiedlichen Ausbildungsstufen sowie zwei Reiterinnen, die sich für Sitzübungen an der Longe zur Verfügung gestellt hatten. Die erste Reiterin, Daniela Kahle, stellte eine siebenjährige Stute vor, die sich auf dem Weg von L nach M befindet. Das großrahmige Pferd ist mit allem Potenzial ausgestattet, welches man sich für ein Dressurpferd wünscht. Allerdings war die Anlehnung noch etwas unbeständig. Das liege daran, dass die Stute noch nicht genügend versammelt ist und die Hinterhand noch nicht stark genug ist, um Last aufzunehmen, erklärte Riegler. Die Reiterin stellte das Pferd immer eher zu tief ein und es kam dabei zeitweise hinter die Senkrechte, jedoch ohne sich wirklich einzurollen. „Das ist mir viel lieber als eine erzwungene zu frühe Aufrichtung“, betonte Riegler. Denn die führe dazu, dass das Pferd im Rücken
fest wird und die Bewegungszentrale quasi lahmgelegt würde. Gleichwohl müsse es natürlich das Ziel sein, die reelle Aufrichtung zu erarbeiten. Das taten Riegler und die Reiterin dann auch. Im Galopp sollte die Reiterin sich an erste Arbeitspirouetten wagen, um die Stute immer wieder zu animieren, Last auf dem inneren Hinterbein aufzunehmen. Wichtig dabei: Darauf achten, dass das Pferd unterspringt und nicht zur Seite ausweicht! Das klappte schon ganz gut und es wurde deutlich, dass die Stute immer leichter in der Anlehnung wurde und das Genick zunehmend höher kam: der richtige Weg. Auch wenn die Reiterin ein wenig traurig war, dass ihre Stute sich an diesem Tag nicht von der Schokoladenseite
gezeigt hat, konnte sie damit getröstet aus der Halle gehen.
Als nächstes kam Karin Lührs mit ihrem derzeit besten Pferd in die Halle, dem Grand Prix-erfolgreichen Sergent Pepper. Freimütig erklärte Karin Lührs, dass der Wallach keine ideale Oberlinie hat für ein Dressurpferd. Seine Sattellage ist zu tief, so dass man ihn nicht zu früh aufrichten durfte, um zu verhindern, dass er den Rücken wegdrü;ckt. „Wir mussten warten, bis war an der Hankenbeugung arbeiten konnten“, erinnert sich Lührs. Danach lernte der Trakehner sehr schnell. In Prix St. Georges und Intermediäre I war er rasch hoch erfolgreich. Aber im Grand Prix wollte es zunächst noch nicht so recht klappen. „Er war noch nicht durchlässig genug!“ hatte Karin Lührs damals festgestellt und beschlossen, noch einmal einen Gang zurückzuschalten, um die Grundlagen noch sicherer zu festigen. „Inzwischen scherzen wir mit der Besitzerin, dass ich bald Vergnügungssteuer zahlen muss, wenn ich ihn reiten will“, scherzt die Ausbilderin. Tatsächlich sieht der Dunkelbraune nach Spaß aus. Man kann ihm seinen Arbeitseifer im Gesicht ansehen. Da schaut man gerne zu!
Dann geht es ans arbeiten und Riegler schaltet sich ein. Für Sergent Pepper geht es vor allem darum, immer wieder Last auf das innere Hinterbein aufzunehmen.“Je besser ich das innere Hinterbein habe, umso leichter wird alles andere.“ Dafür wurde auch mit dem 15-jährigen Trakehner in der Pirouette gearbeitet. Karin Lührs erklärte dabei selbst: „Ich muss aufpassen, dass er vor den treibenden Hilfen bleibt. Die Aufrichtung kommt dann von selbst.“ Nach so viel Versammlung ging es dann nach vorne, damit der Wallach sich wieder strecken und entspannen kann. Rieglers Tipp für Fortgeschrittene: „Nach Verstärkungen innen parieren, ohne dabei den Kopf nach innen zu ziehen!“ Denn so wirkt die Parade direkt auf das innere Hinterbein ein.
Zwei ganz Mutige stellten sich danach für das Training an der Sitzlonge zur Verfügung: Anna Stahnke und Marlit Gravert. Johann Riegler ist der Meinung, dass es viele Gründe gibt, warum Reiter sich regelmäßig an der Sitzlonge überprüfen lassen sollten – Balancegefühl verbessern; lernen, unabhängig von der Hand zu sitzen; üben, richtig einzuwirken und vieles andere. Vor allem letzteres stand für Anna und Marlit auf dem Programm. Anna hatte die Zügel in der Hand und sollte fühlen, wie es ist, die Hand im Kontakt zum Pferdemaul zu bewegen, ohne dabei mehr Gewicht in die Hand zu bekommen. Für Marlit ging es darum, „das Hinterbein anzutraben“. Soll heißen, Marlit sollte zwei kurze Impulse geben in der genau der Dosierung, auf die das Pferd reagiert. Gerade diese einzelnen Bausteine, die zum Reiten gehören, kann man an der Longe super üben, weil man sich eine Zeitlang nur damit beschäftigen kann und einem der Rest (Tempo, Richtung usw.) abgenommen wird.
So gut hatte Karin Lührs es auf ihrem zweiten Pferd an diesem Tage nicht. Diesmal saß sie im Sattel von Petit Pompidou, auch dies ein Trakehner, der im Augenblick die Grand Prix-Lektionen lernt. Sein Problem: „Dies ist ein XL-Pferd, XL für extra lang. Es ist unheimlich schwierig, ihn zu schließen“, beschreibt Karin Lührs die Herausforderungen, vor die „Pelle“ sie stellt. Hinzu kommt, dass der Wallach wenig fallen lässt. Darauf liegt in der Arbeit der Fokus. Wenn Pelle gut geht, kann er alles erreichen. Unter anderem gehen schon mehrere S-Siege auf sein Konto. Auch Johann Riegler meint: „Ich habe ihn jetzt länger nicht gesehen und muss sagen, der wird immer runder!“ Besonders lehrreich an dieser Unterrichtseinheit war die Handarbeit mit Pelle. „Es fällt ihm schwer, den Piaffe-Rhythmus zu finden. Gleichzeitig ist er sehr sensibel und regt sich bei dieser Arbeit schnell auf. Er wird dann schnell hektisch und findet erst recht keinen Takt. Darum gebe ich mich schon mit zwei bis drei Tritten zufrieden, lobe dann überschwänglich und beruhige ihn, ehe ich einen neuen Anlauf mache. Bei ihm geht es vor allem darum: langsames Reiten, Takt bestimmen.“
Ein besonderer Ehrengast hatte an diesem Dezembertag den Weg nach Neversdorf gefunden und wie so viele Male in seinem Leben den Nachmittag in der Reithalle verbracht: Kurd Albrecht von Ziegner (97), Ehrenvorsitzender von Xenophon e.V. und einer der letzte Hüter des Wissens der alten Meister. Er war sehr angetan von dem, was er auf dem Hof Lührs zu sehen bekam: „Das ist eine wunderbare Einrichtung und sollte auf regelmäßiger Basis wiederholt werden!“ Das wird sie, versprochen!