Wohin entwickelt sich der Pferdesport? Das ist eine Frage, mit der wir uns oft beschäftigen und feststellen: Die Richter haben es in der Hand! Denn sie bestimmen mit ihrem Urteil, welche Art der Reiterei erfolgreich ist. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Um es mit Karin Lührs, der zweiten Vorsitzen- den von Xenophon e.V., zu sagen: „Die Qualität der Pferde hat sich rasant entwickelt. Die des Reitens kommt da nicht ganz hinterher.“

Karin Lührs ist selbst bis Grand Prix erfolgreich, bildet Reiter und Pferde bis Klasse
S aus und richtet zudem auch bis S. Sie kennt also alle Seiten. Fragt man sie, inwiefern sich die Reiterei verändert hat, berichtet sie: „Da gibt es zwei Dinge. Zum einen kommen
die jungen Reitschüler nicht mehr aus Pferdefamilien. Heute schläft kaum noch ein Kind
im Stall und lernt das Wesen der Pferde von der Pike auf kennen. Zum anderen bin ich immer wieder erstaunt, wie wenig Reiter bereit sind, an sich selbst zu arbeiten.“ Ein Beispiel verdeutlicht, was sie meint:
Bei einer Kreismeisterschaft, die auf M-Niveau ausgetragen wurde, erhielt rund ein Drittel der Teilnehmer im getrennten Richtverfahren eine Bewertung unter 60 Prozent. Karin Lührs: „Früher hätte man sich dafür geschämt!“ Heute gibt’s ein Selfie für die Insta-Story.

Karin Lührs erlebt immer wieder, dass Reiter aufs Turnier fahren, obwohl sie den Anforderungen, die die Aufgabe an sie stellt, noch gar nicht ge- wachsen sind. Dabei gilt immer noch: „Wer auf dem Turnier M reiten will, sollte zuhause sicher Traversalen und fliegende Wechsel reiten können. Denn wenn das schon im Training nicht klappt, geht es in der Prüfung erst recht nicht.“

Viel schlimmer als dass einzelne Lektionen nicht funktionieren, seien aber die eklatanten Ausbildungsmängel, die Lührs sieht: „Schon
in Klasse A und L stellen wir zum Teil erhebliche Mängel im Sitz fest. Dann kann das mit der Einwirkung auch nicht funktionieren.“ Aber nicht nur am Sitz hapert es: „Ich merke immer wieder, dass viele Reiter heute kein Konzept mehr haben. Sie wissen weder, wie sie eine einzelne Stunde aufbauen sollen, noch wie sie langfristig ein Ziel erreichen. Wer ad hoc eine ganze Traversale reiten will, ist zum Scheitern verurteilt. Alles muss entwickelt und vom Leichten zum Schweren erarbeitet werden.“

„Als erfahrener Richter sehe ich sofort, wenn ich das Seitenbild sehe, in welche Richtung der Ritt geht.“

Vielfach hört man, dass XY die 7 vor dem Komma schon stehen habe, sobald er/sie ins Viereck eingeritten ist. Dazu Karin Lührs: „Als erfahrener Richter sehe ich sofort, wenn ich das Seitenbild sehe, in welche Richtung der Ritt gehen wird, schon nach einer Runde Trab außen herum – wie sitzt der Reiter? Wie durchlässig ist das Pferd? Wie ist es bemuskelt? All das gibt schon vor der Aufgabe Auskunft über die Qualität, die wir von dem Ritt erwarten dürfen.“ Statt sich über die ungerechte Notengebung zu beschweren, täten die Reiter also gut daran, ihre Pferde systematisch nach den Richtlinien auszubilden und
zu arbeiten. „Ein gut gerittenes Pferd mit einem gut sitzenden Reiter bekommt auch gute Noten! Wer sich an der Reitlehre orientiert, wird belohnt. Natürlich kann immer etwas schief gehen. Aber tatsächlich geben Richter nicht gerne Noten unter 5. Im Gegenteil, wir sind sehr wohlwollend, wenn wir sehen, dass jemand korrekt reitet!“ Und das auch dann, wenn das Pferd kein Lampenaustreter XXL ist.

Karin Lührs appelliert zum einen an die Reiter selbst, sich mehr mit der Reitlehre zu beschäftigen und eine Systematik in ihr Trainingsprogramm zu bringen. „Es hilft auch, sich von Zeit zu Zeit beim Reiten filmen zu lassen und selbstkritisch hinzuschauen. Was man nicht fühlt, sieht man, wenn man sich selbst im Video betrachtet“, so der Tipp der Ausbilderin.

Und apropos Ausbildung – den Trainingsplan sollte der Reitlehrer mit seinen Schülern abstimmen. Die Trainer müssen ihre Schüler „zum selbstständigen Fühlen erziehen“, wie Karin Lührs sagt. „Ich muss handlungsorientierten Unterricht geben, erklären, warum was wichtig ist und wie ich es erreiche. So erfahren die Reitschüler, worauf es ankommt und lernen zu fühlen, was sie in der Theorie wissen.“

Gutes Reiten beginnt im Kopf. Das erfordert einen Trainer, der die Skala der Ausbildung immer im Blick hat, und lernbereite, selbstkritische Schüler, die bereit sind, das Warum hinter dem Wie zu hinterfragen und zu durchdringen.