Je spektakulärer die Bewegungen der Pferde, desto größer die Gefahr für Phasenverschiebungen, also einen Bewegungsablauf, der nicht mehr taktrein ist – etwa, wenn im Trab das diagonale Beinpaar von Vor- und Hinterhand nicht mehr gleichzeitig auffußen. Oder wenn im Galopp das innere Hinterbein schon am Boden ist, das äußere Vorderbein aber noch in der Luft. All dies kann durch extreme Vorderbeinmechanik begünstigt werden. Und durch fehlerhafte Einwirkung des Reiters, zum Beispiel wenn er das Pferd mit der Hand in eine künstliche Bergaufhaltung bringen will oder in den Verstärkungen keine Rahmenerweiterung zulässt. Beziehungsweise mitunter auch gar nicht zulassen kann, weil das Pferd sich nicht reell selbst trägt. Man sieht diese Bilder in allen Alters- und Ausbildungsstufen – von der Dressurpferdeprüfung bis hin zum Grand Prix. Eine fatale Entwicklung! Und das schlimmste: Die Richter ahnden es nicht mehr. Vielfach hat man den Eindruck, sie sehen es noch nicht einmal. Xenophon-Aufsichtsratsmitglied Martin Plewa hat in St.GEORG 2/2019 sehr passend angemerkt, dass das Auge des Betrachters sich an Fehler gewöhnt. Aber das darf nicht passieren! Denn der Erhalt des reinen Gangwerks ist kein Selbstzweck. Er dient zur Gesunderhaltung der Pferde, indem die Überlastung einzelner Gliedmaßen verhindert wird. Man mag den Pferden eine spektakulärere Bewegungsmechanik angezüchtet haben, aber immer noch keine unverwüstlichen Sehnen und Gelenke. Nicht umsonst gilt der Fesselträgerschaden bei Tierärzten inzwischen als „Berufskrankheit“ der Dressurpferde.

„Tanz auf der heißen Herdplatte“

In der Ausbildung geht es vielfach nicht mehr um die Korrektheit der Ausführung der Lektionen, sondern darum, was Punkte gibt. Nehmen wir das Beispiel Piaffe: Eine korrekt ausgeführte Piaffe mit gesenkter Hinterhand und deutlicher Lastaufnahme bei schwingendem Rücken auf der Stelle stellt den maximalen Grad an Versammlung dar und fordert größtmögliche Durchlässigkeit, Kraft und Balance vom Pferd – auch wenn der Unterarm vielleicht nicht die Waagerechte erreicht. Dem gegenüber stehen in der Praxis mitunter trabartige Bewegungen auf der Stelle, bei denen das jeweilige Pferd zwar die Gliedmaßen im Takt in die Luft reißt, sich dabei aber nicht vom Boden abdrückt. Das ist keine Piaffe. Das ist ein „Tanz auf der heißen Herdplatte“. Ebenfalls fehlerhaft: Pferde, die vorne stützen und hinten hopsen. Auch das wird mitunter hoch benotet.

Gerade was die Reinheit der Gänge angeht, stellten die doppelt bewerteten Fußnoten immer ein wichtiges Korrektiv dar. Nun sind sie weggefallen und die Richter sind aufgefordert, die in den früheren Fußnoten einzeln beurteilten Elemente in den Einzelnoten der gesamten Aufgabe zu berücksichtigen. Das tun sie jedoch in der Praxis nicht.