Xenophon: Aggressives Reiten – es geht alle an!

Fast jeder kennt das Problem: aggressive Reiter. Nicht nur aus eigener Erfahrung, auch durch die immer wiederkehrenden Anfragen von Xenophon-Mitgliedern wissen wir, dass dies ein weit verbreitetes Phänomen im Stallalltag ist. Da wird mehr oder weniger laut geflucht, gestochen, gezogen, gezergelt und geprügelt. Zwischendurch wird das Pferd kopflos nach vorne gescheucht, dann wieder mit einem Ruck im Maul angehalten und über Bahnlängen hinweg rückwärts gezogen. Nicht nur für die vierbeinigen Opfer sind diese Stressfaktoren auf dem Platz oder in der Halle ein Problem. Auch die Pferde der Mitreiter reagieren oftmals verängstigt und verunsichert. Werden die betreffenden Personen angesprochen, hört man nicht selten Sätze wie „Der muss da mal durch!“ oder „Der muss endlich lernen, wer der Chef ist!“. Das alles ist schlicht und ergreifend unreiterliches Verhalten. Und zwar nicht nur dem eigenen Pferd gegenüber, sondern auch den Mitreitern, die in solchen Situationen die Arbeit mit ihrem eigenen Pferd häufig einstellen können oder ausweichen müssen.

Was aber kann man tun? Der Stallbesitzer, der das Hausrecht besitzt, könnte hier einschreiten. Doch eigentlich muss die Abwärtsspirale der Gewalt auf dem Pferd schon an der Wurzel aufgehalten werden. Es ist die Aufgabe der Ausbilder, derartigem Verhalten gegenüber dem Pferd einen Riegel vorzuschieben. Nach dem Motto: Wer quält, fliegt raus!

Beim Reiten hat man es mit Kreaturen zu tun, von denen die meisten sich alles gutmütig gefallen lassen. Sie sind stärker als wir, aber sie wissen es nicht und leiden damit mehr oder weniger stumm. Aufgerissene Augen, ängstlich geblähte Nüstern, panisches Schweifschlagen, festgehaltener Rücken sind so alltäglich geworden, dass kaum jemand mehr wahrzunehmen scheint, dass dies Abwehr- und Schmerzäußerungen sind. Die wenigsten Pferde wehren sich aktiv gegen Ungerechtigkeiten und Quälerei. Und diejenigen, die es doch tun, werden nicht selten als „Verbrecher“ abgestempelt. Das macht Pferde zu perfekten Opfern, di kaum eine Lobby haben. Es ist – leider – eine Schwäche von uns Menschen, unser eigenes Selbstwertgefühl aufzuwerten, indem wir Unterlegene drangsalieren. Bei pubertierenden Schulklassen ist das ein alltägliches Bild.

Normalerweise lernt Mensch im Laufe des Erwachsenwerdens mit seinen niederen Instinkten umzugehen. Doch was für zwischenmenschliche Beziehungen gilt, scheint bei Tieren nicht selbstverständlich zu sein. Da haben zweibeinige Egomonster, die ihr Zorn an dem ihnen ausgelieferten Tier kühlen, leichtes Spiel. Auch das ist Aufgabe des Reitlehrers: seinen häufig ja noch jugendlichen Schülern beizubringen, dass sie eine Verantwortung für den Schwächeren im Mensch-Pferd-Team haben, dass ihr Pferd auf sie angewiesen ist, und dass es eine Schande ist, diese Situation auszunutzen.

Wohl jeder Reiter hat sich schon mal erwischt, wie er ungerecht gegenüber seinem vierbeinigen Partner war. Je nach Charakter des Pferdes kann das Vertrauen dadurch erheblichen Schaden nehmen. Daher ist es wichtig, dass sich der Reiter immer wieder kritisch hinterfragt. Denn wer Schwächere drangsaliert, stellt sich letztlich selbst ein Armutszeugnis aus. Würden alle Reiter ihre Verantwortung gegenüber dem Pferd erst nehmen, würden Feierabende in deutschen Reithallen deutlich friedlicher verlaufen.

Der Artikel ist in der St. Georg, Ausgabe 8/2015, S. 89, erschien und wurde von Dominique Wehrmann für Xenophon e.V. geschrieben.