Während eine ganze Reihe von Pferdefreunden sich für den Erhalt des Pferdesports stark macht und versucht, der nicht pferdeaffinen Öffentlichkeit verständlich zu machen, dass es durchaus möglich ist, sportliche Höchstleistungen im partnerschaftlichen Miteinander mit den Pferden zu erbringen, gibt es eine Gruppe, die ganz offensichtlich ignoriert, wie die Öffentlichkeit über den Sport denkt: die Springreiter.

Es ist tatsächlich passiert. Bislang galt im Springsport wie in der Dressur die „Null-Toleranz-Regel“. Heißt: Blut am Pferd führt zum sofortigen Ausschluss, unabhängig davon, ob die Blutung vom Reiter verursacht wurde, oder nicht. Das wird sich im Springsport ab 1. Januar ändern.

Dann läuft es so ab:

Blutet ein Pferd, ob geringfügig oder großflächig, wird es von einem Tierarzt in Augenschein genommen. Der entscheidet, ob das Pferd „fit to compete“ ist, oder ob es aus dem Wettkampf genommen wird.

Bei einer als geringfügig eingestuften Verletzung, die „auf natürliche Ursachen zurückzuführen ist“ – die FEI nennt hier das Beispiel eines Insektenstichs oder dass das Pferd sich „leicht auf Zunge oder Lippe gebissen hat“ –, wird dem Reiter erlaubt, das Blut abzuwischen und weiterreiten ohne weitere Konsequenzen.

Ist die Verletzung geringfügig und wurde versehentlich durch Reiter oder Equipment verursacht, erhält der Reiter eine Verwarnung, die veröffentlicht wird. Er darf aber weiterreiten, sofern der Tierarzt sein Go gibt. Es kann also sein, dass ein Pferd im Einflussbereich der reiterlichen Hilfen (Sporengegend oder Maul) blutet, aber trotzdem weiter geritten werden darf. Bei der zweiten Verwarnung innerhalb eines Jahres erhält der Reiter eine Geldstrafe und eine einmonatige Sperre. Auch das wird veröffentlicht.

Ist die Verletzung das Resultat gewaltsamer Einwirkung, wird der Reiter disqualifiziert und es kann zu einem Disziplinarverfahren kommen.

IJRC: Falschdarstellungen

Der International Jumping Riders Club (IJRC) vertritt die Interessen der Springreiter. Er war es, der die bestehende Regel geändert haben wollte. Als Begründung wurde der Fall Pedro Veniss angeführt. Weil sein Pferd Nimrod de Muze im Bereich der Sporen Blutspuren aufwies, als der Brasilianer den Parcours des olympischen Mannschaftsspringens in Paris 2024 verließ, schied er aus dem weiteren Wettkampf aus – mit der Folge, dass das ganze Team geplatzt war, denn da nur noch drei Reiter pro Nation bei Olympia an den Start gehen, gibt es kein Streichergebnis mehr. Sinngemäß hielt der IJRC das für eine unverhältnismäßig hohe Strafe dafür, dass das Pferd nur eine kleine Hautläsion hatte.

Wörtlich sagte der IJRC in seinem letzten Statement zu der Sache: „Von Anfang an strebte der IJRC eine verhältnismäßigere Reaktion an: Eine Mikroverletzung an einem Pferd führte letztes Jahr zum Ausschluss der gesamten brasilianischen Mannschaft von den Olympischen Spielen in Paris, was wir für übertrieben halten, während ein Ausschluss nach einer Runde mit Fehlern fast keine Konsequenzen hat.“

Nun hat der IJRC sein Ziel erreicht. Oben genannter Fall würde nach neuem Reglement nicht zwangsläufig zum Ausschluss führen. Als genau das von vielen Seiten heftig kritisiert wurde, gab der IJRC ein Statement ab, in dem es heißt, die Medien hätten den Sachverhalt nicht richtig dargestellt. Tatsächlich würde der Schutz der Pferde durch die Neuregelung sogar verbessert werden.

Um es zusammenzufassen: Der IJRC befand die Null-Toleranz-Linie in Bezug auf Blut für unverhältnismäßig streng, hat daraufhin eine Veränderung der Regel erwirkt, die de facto eine Aufweichung darstellt und will nun den Kritikern weismachen, der Schutz der Pferde hätte sich verbessert. Ein Hohn.

Wie wir das sehen

Nicht nur die FN, auch andere Verbände haben sich gegen die Neuregelung von Art. 259 ausgesprochen. Zu Recht. Denn was sich de facto verbessert hat, ist nicht der Schutz der Pferde, sondern der der Reiter. Ein bitteres Fazit für die Pferde. Und das in einer Zeit, in der der Sport stärker in der Kritik steht als je zuvor. Einen größeren Bärendienst hätten die Springreiter dem Sport nicht erweisen können. Beinahe hat man den Eindruck, das Thema Social License ist ihnen völlig egal und ihre Pferde sowieso. Das Credo der FEI lautet: „The welfare oft he horse is paramount.“

Wer das unterschreibt, wird sich nicht dagegen wehren, wenn er wegen Blut am Pferd disqualifiziert wird, sondern sich schämen, dass er es so weit hat kommen lassen. Denn ja, es kann passieren, dass ein Pferd sich auf Lippe oder Zunge beißt, oder dass es eine wunde Stelle im Sporenbereich hat. Aber es ist letztlich ein Zeichen dafür, dass man – ob nun mit der Hand oder dem Sporn – so stark eingewirkt hat, dass das Pferd dadurch entweder verletzt wurde oder sich selbst verletzt hat. Das muss drastische Konsequenzen haben, die das betroffene Pferd sofort schützen und den Reiter zur Rechenschaft ziehen.

Ansonsten verlieren der Sport und seine zweibeinigen Akteure ihre Glaubwürdigkeit – was in den Augen vieler längst geschehen ist.

 Video des Olympiasiegers

Während die Änderung der Blood Rule noch die Gemüter erhitzte und die ARD eine Dokumentation über die Diskrepanz zwischen der Liebe zu den Pferden und der Skandale im Sport ausstrahlte, ereignete sich beim Weltcup-Turnier in Verona der nächste Vorfall, der sich wie ein Lauffeuer durch die Sozialen Medien fraß:

Olympiasieger Christian Kukuk wurde dabei gefilmt, wie er seine EM-Partnerin Just Be Gentle beim Weltcup-Turnier in Verona arbeitet. Die Sequenz ist nur 35 Sekunden lang, zwei Zirkelrunden. Zu sehen ist Kukuk auf der Stute. Er reitet sie in langsamem Galopp, wirkt dabei mit der Hand sichtlich rückwärts ein. Die Stute ist auf Trense gezäumt und trägt einen Schlaufzügel – und nichts sonst. Am Gebiss ist kein normaler Zügel befestigt. Nach eineinhalb Runden Galopp pariert Kukuk durch. Die Stute trabt sichtlich taktunrein. Dann endet das Video.

Paragraf 257 der FEI Jumping Rules besagt, dass ein Paar Zügel entweder am Gebiss oder am Zaum befestigt sein muss und dass maximal zwei Paar benutzt werden dürfen. Dennoch ist der zuständige Steward nicht eingeschritten. Und wie Christian Kukuk selbst bestätigt hat, wurde auch die deutliche Taktstörung der Stute nicht beanstandet.

Da sind wir wieder bei der Frage: Wie ernst nehmen die Beteiligten den Schutz der Pferde im Sport? Schlaufzügel sind problematisch. So angewendet wie auf dem Video, sind sie ein Marterwerkzeug. Das Pferd hat keinerlei Möglichkeit, sich dem Flaschenzugeffekt der massiv rückwärts einwirkenden Hand zu entziehen. Zudem fragt man sich: Was soll das? Dass man ein Pferd gymnastiziert, indem man es von hinten nach vorne statt von vorne nach hinten arbeitet, ist schließlich kein Selbstzweck, sondern der einzige Weg, der auf pferdegerechte Weise zum Ziel der Durchlässigkeit führt – und das dürfte ja auch das Ziel des dressurreitenden Springreiters sein.

Auf Nachfrage erklärte Christian Kukuk, er nehme die Kritik „sehr ernst“. Er weist aber auch darauf hin: „Mir ist es wichtig zu sagen, dass es keinerlei Beanstandungen von FEI-Offiziellen vor Ort hinsichtlich des Abreitens oder an der Ausrüstung des Pferdes gab. Die Stute wurde beim Vet-Check von Turniertierärzten zum Wettkampf anstandslos zugelassen und auch nach dem Turnier zeigte sie keinerlei Auffälligkeiten beim wöchentlichen Tierarzttermin zuhause.“

Vielleicht nimmt Kukuk die Kritik wirklich „sehr ernst“. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Wir haben auch die FEI kontaktiert, um in Erfahrung zu bringen, weshalb hier niemand Anlass zum Handeln sah. Ein Sprecher erklärte, man habe noch nicht alle Berichte der in Verona verantwortlichen Funktionäre erhalten. Daher habe auch noch keine formelle Überprüfung einleiten können.