Nach den Skandalen, die den Dressursport immer wieder erschüttert haben (TV-Sendung über Helgstrand, Cesar Parra, Charlotte Dujardin), wurde Anfang des Jahres eine Arbeitsgruppe gegründet, die einen „Dressage Strategic Action Plan“ entwickeln soll. Die ersten Ergebnisse wurden in Lausanne präsentiert. Mitglieder dieser Gruppe sind unter anderem die deutsche Bundestrainerin Monica Theodorescu, Equipechef Klaus Roeser, der auch Generalsekretär des International Dressage Riders Club und Vorsitzender des DOKR-Dressurausschusses ist, Fünf-Sterne-Richter Raphael Saleh aus Frankreich, sowie die sechsfache Olympiareiterin und Weltklassetrainerin Kyra Kyrklund aus Finnland. Vorsitzender ist der US-Reiter und -Trainer George Williams. FEI-Tierärztin Lise Berg repräsentiert die Wissenschaft.

Der FEI-Dressurchef Ronan Murphy gab einen Überblick über die Situation des Dressursports, die öffentliche Kritik, die zahlreichen Forderungen, Pferdesport ganz aus dem Programm der Olympischen Spiele zu streichen, nicht nachvollziehbare Richterentscheidungen, das Fehlverhalten einzelner, das dem gesamten Sport schadet.

Auch wies er auf Ideen zur Veränderung der Situation hin, die derzeit innerhalb der Arbeitsgruppe diskutiert werden:

  • Einführung einer Rittigkeitsnote,
  • öffentlicher Zugang zu den Kommentaren der Richter,
  • System, mit dem die Richter während einer Prüfung Bedenken hinsichtlich der Kompetenz einer Kombination auf diesem Niveau äußern können,
  • Überprüfung der Positionen der Richter am Viereck,
  • Weiterentwicklung des KI-unterstützten Richtens,
  • Verfeinerung des Schwierigkeitsgrads (DoD), um Harmonie in den Vordergrund zu stellen,
  • Umgang mit Anlehnungs- und Zungenproblemen,
  • Überarbeitung der Prüfungen, um das Ziel der Dressur besser widerzuspiegeln,
  • Überwachung von Reiter-Pferd-Paaren, bevor sie das Viereck bei A betreten,
  • stärkere Beteiligung der Richter an Pressekonferenzen nach dem Wettbewerb,
  • Wiedereinführung eines „Judge General“ oder eines Gremiums zur Überwachung des Richtens und zur Überprüfung der Rollen des Richteraufsichtsgremiums und der Richterberatungsgruppe.

Danach gab es lebhafte Diskussionen, sowohl von den Mitgliedern der Arbeitsgruppe als mit dem Publikum. In einem Punkt sind alle Beteiligten sich einig: Die Richter haben es in der Hand, wie es weitergeht mit der Dressur. Dem widersprach auch Raphael Saleh nicht. Sowohl Monica Theodorescu als auch Kyra Kyrklund verwiesen darauf, dass man in der Vergangenheit mehr Zuschauer bei den Prüfungen wollte und dadurch der Sport immer spektakulärer wurde. Theodorescu: „(…) Das ist zu weit gegangen. Natürlich läuft es auf die Richter hinaus. Wir üben das, was gewollt ist. Wir unterrichten das. Und Reiter reiten und trainieren ihre Pferde dementsprechend, wie sie die meisten Punkte bekommen. Wir haben den Pfad der Skala der Ausbildung verlassen.“

Gleichzeitig sieht sie hier auch den Weg zurück: „Wir können es mit den Regeln lösen, die uns zur Verfügung stehen – mit guten Ausbildern, guten Richtern, Weiterbildung und natürlich viel Verständnis dafür, was Wohlergehen der Pferde eigentlich bedeutet und dafür, welches die Anzeichen für Stress und Konflikte sind und wie wir diese identifizieren.“

Klaus Roeser nahm die Richter angesichts ihrer komplexen Aufgabe ein Stück weit in Schutz und plädierte dafür, „neue Technologien“ zur Hilfe zu nehmen, damit die Richter sich „mehr auf die wichtigen Dinge konzentrieren können, die wir gerne sehen würden“.

Raphael Saleh stimmte den Vorrednern zu und betonte, wie wichtig es auch für ihn und seine Kollegen eine „klare Linie“ sei.

Lise Berg verwies auf die Vorbildfunktion der Reiter in der Öffentlichkeit und den gegenseitigen Einfluss von Turnieren und Training. Berg ist nicht nur Tierärztin, sondern auch außerordentliche Professorin für Angewandte Veterinärmedizin und Biomedizinische Wissenschaft an der Universität Kopenhagen. Sie betonte die Bedeutung von Wissenschaft, um argumentieren und Fragen eindeutig beantworten zu können. Jason Brautigam, Vorsitzender des britischen Dressurausschusses, stimmte zu. Er sprach die Fotos eingeschnürter Zungen und enger Hälse an, die für viel Kritik gesorgt haben. Was davon ist wirklich schädlich fürs Pferd? Diese Frage sehen sowohl er als auch die „Dressage Strategic Action Plan Group“ von wissenschaftlicher Seite nicht hinreichend beantwortet.

Wahlfreiheit Trense/Kandare

Ein weiteres Thema auf der Tagesordnung war die immer wieder geforderte Wahlfreiheit zwischen Trense und Kandare. Es gibt Überlegungen, die Wahlfreiheit auf CDI3*-Niveau einzuführen. Grundsätzlich sehen die Diskutierenden das Problem aber nicht bei der Kandare, sondern bei der Hand, in der diese liegt. Richter Saleh: „Ob Wassertrense oder Kandare – falsch benutzt, wird es die gleichen Konsequenzen für die Qualität der Anlehnung und das Maul des Pferdes haben. Wir müssen uns eher auf die Qualität der Anlehnung als solcher und die Art des Reitens konzentrieren, als die Frage, ob Kandare oder Wassertrense.“

Fragen und Antworten (zumindest zum Teil)

Von der im Publikum sitzenden ehemaligen Richterin und FEI-Dressurausschussvorsitzenden Mariette Withages kam der Vorschlag, die Fußnoten wieder einzuführen – etwas, dem Monica Theodorescu nur beipflichten konnte: „Ich habe den Eindruck seit der Abschaffung werden die Prinzipien nicht mehr genügend berücksichtigt.“ Davor hatte Xenophon übrigens schon bei Bekanntwerden der Pläne zur Abschaffung der Fußnoten gewarnt.

Eine Frage, die vielen unter den Nägeln brennt, kam ganz zum Schluss und konnte nur noch in aller Kürze beantwortet werden: „Sind Vorfälle, wie die mit Charlotte Dujardin, unvermeidlich, weil man Pferde nur so dazu bringen kann, das zu tun, was sie im Topsport tun müssen?“ Der Tierarzt und CEO von World Horse Welfare, Dr. Roly Owers, ein Landsmann von Dujardin, hatte die Frage gestellt. Kyra Kyrklund meint: „Ich bin absolut überzeugt, dass dem nicht so ist. Es gibt Mörder. Aber nicht jeder, der da draußen ist, ist ein Mörder. Wir reden von einigen Leuten und die werden nun erwischt. Das ist gut so!“

Blutregel im Springen

Ein großes Thema aller Beteiligten im Springsport ist derzeit die turnusgemäß anstehende Überarbeitung des Reglements. Der International Jumping Riders Club (IJRC) fordert die Anpassung der Regel 241.3.30, die den Ausschluss von Paaren wegen Blut an der Flanke regelt.

Zur Einordnung: Bei den Olympischen Spielen in Paris schied Brasilien nach der ersten Runde der Mannschaftswertung aus, weil bei Pedro Veniss’ Pferd nach fehlerfreier Runde Blut an der Flanke gefunden wurde. Da es bei Olympia bekanntlich kein Streichergebnis mehr gibt, bedeutete der Ausschluss von Veniss zugleich das Aus für das Team.

Solche Situationen will der IJRC verhindern, wie der Präsident François Mathy Jr. erklärte. Zumal die Regel so angewandt, seiner Ansicht nach den Sport nicht schütze, was eigentlich beabsichtigt war, sondern ihm im Gegenteil schade. „Wir kennen die Regel, aber wenn in der Presse steht ,Reiter eliminiert wegen Blut‘ sieht es so aus, als ginge es um das Wohlergehen der Pferde, obwohl es ganz klar ist, dass dies nicht der Fall ist“, meint Mathy Jr.

Seiner Ansicht nach – bzw. der Ansicht der Reiter, die er vertritt – handele es sich bei einer „Mikroläsion“, wie der, die zum Ausschluss von Veniss führte, um einen „Kratzer“. „Die direkte Eliminierung in dieser Situation ist etwas, das wir ansprechen möchten, weil wir es für unfair halten.“ Er bezog sich in dem Zusammenhang auf den Rechtsgrundsatz, dass es eine Verhältnismäßigkeit zwischen Vergehen und Strafe geben müsse. Diese sei hier aus Sicht des IJRC nicht gegeben.

Der IJRC wolle die Regel jedoch nicht abzuschaffen, im Gegenteil: „Natürlich brauchen wir diese Regel, denn weder die Reiter noch die Offiziellen oder das Publikum wollen blutende Pferd aus dem Parcours kommen sehen.“ Und dass es seit der Einführung der Regel sehr viel weniger Ausschlüsse wegen Bluts am Pferd gibt, wurde von allen Anwesenden einmütig bestätigt. Aber der IJRC wünscht sich eine Abstufung im Strafmaß, zum Beispiel indem zunächst eine Verwarnung ausgesprochen wird, beim zweiten Mal eine gelbe Karte und erst dann „beispielsweise eine Sperre für zwei Monate oder was auch immer“.

Todd Hinde, FEI Jumping Director, ließ eine Tür offen, als er sagte, dies sei eine Diskussion, die man führen müsse und man müsse das Feedback der Interessenvertreter einholen.

Klarer in ihrer Haltung waren die Niederländerin Irene Verheul, Leiterin des Weltcup-Turniers „Jumping Amsterdam“ und der Deutsche Stephan Ellenbruch als Vorsitzender des FEI Jumping Committee. Beide äußerten zwar ihr Verständnis für die Position des IJRC, sorgen sich aber darum, wie eine Aufweichung der Regel in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden würde.

Ellenbruch sagte, er würde den Status quo gerne beibehalten, sei aber auch offen für Vorschläge. „Aber wir müssen im Hinterkopf behalten, dass die Überschrift immer die Social License ist.“

Verheul gab zudem zu bedenken, dass es nicht sein kann, dass man in unterschiedlichen Disziplinen mit zweierlei Maß misst. In der Dressur führt das geringste bisschen Blut unweigerlich zum Ausschluss. Wie könne man es der Öffentlichkeit erklären, wenn es beim Springen nun anders gehandhabt würde?

Unsere Meinung zu den angesprochenen Themen

In gewisser Weise haben wir Verständnis dafür, dass man für eine sachliche Diskussion evidenzbasiertes Wissen braucht, das einem nur wissenschaftliche Studien vermitteln können. Man fragt sich dennoch, ob es wirklich eine Studie braucht, um zu erkennen, dass eine Zunge sich verfärbt, wenn die Blutzirkulation beeinträchtigt ist. Das kann jeder sehen und nachvollziehen.

Gleichzeitig ist klar, dass es unrealistisch ist, in jedem Moment eine ideale Anlehnung zu haben. Von daher wäre es in der Tat sinnvoll zum Beispiel zu untersuchen, wie schnell sich die Zunge eigentlich verfärbt und ab wann dem Pferd dadurch ein Schmerz zugefügt wird. Wenn wir die Fingerkuppen zusammenpressen, verfärben diese sich sofort, aber es tut nicht notwendigerweise weh.

Unabhängig davon sind wir jedoch überzeugt, wir hätten weder blaue Zungen noch die Diskussion um die Wahlfreiheit zwischen Kandare und Trense, wären Harmonie und Selbsthaltung die Faktoren, mit denen man im Viereck punktet.

Dass das nicht notwendigerweise der Fall ist, konnte man jetzt wieder beim Weltcup-Finale in Basel erleben, wo feste Anlehnung, sperrende Mäuler, stramme Rücken und hohe Kruppen zum Teil mehr Punkte erhielten als reelle, aber vielleicht nicht so spektakuläre Vorstellungen. Es wird also dringend Zeit, dass die beim Sport Forum getätigten Aussagen in die Praxis überführt werden.

Dort hatten alle Anwesenden selbst eingeräumt, dass die Richter den Hebel in der Hand halten, um Harmonie und Miteinander mit dem Pferd wieder salonfähig zu machen.

Wir fragen uns: Wann geht das los? Raphael Saleh sagt, er und seine Kollegen müssten sich auf eine Linie einigen. Lesen er und die anderen Richter ihre Handbücher nicht? Hier sind alle Richtlinien vorgegeben. Und wenn er sagt, ob auf Trense oder Kandare, man müsste die Qualität der Anlehnung bewerten, fragen wir uns: Warum passiert das dann nicht?

Sicherlich wäre es hilfreich, die Fußnoten wieder einzuführen, um die prinzipiellen Merkmale eines gut ausgebildeten Pferdes gesondert würdigen zu können. Andererseits wurden die Fußnoten abgeschafft, weil sie missbraucht wurden, um die Rangierung zu beeinflussen. Es bleibt also dabei: Die Richter haben es in der Hand. Das ist eine große Verantwortung. Künstliche Intelligenz, die Tritte und Sprünge zählt und ausmisst, ob die Lektionen an den vorgegebenen Stellen im Viereck ausgeführt werden, mag ihnen bei ihrer in der Tat sehr komplexen Aufgabe helfen. Aber die Entscheidung, gutes Reiten und gut ausgebildete Pferde höher zu bepunkten als spektakuläres Strampeln nimmt ihnen niemand ab.

Blutregel

Was die Blutregel angeht, es ist erschreckend zu verfolgen, wie eine – egal wie kleine – Verletzung heruntergespielt wird. Und zwar nicht nur durch den Präsidenten des International Jumping Riders Club, der von einem „Kratzer“ spricht, sondern auch durch die Argumentation mit der schlechten Außenwirkung, die eine Regeländerung haben würde. Eigentlich hieß es seitens der FEI doch immer, das Pferdewohl stünde über allem. Mit dieser Argumentation wird der FEI-Leitsatz durch einen FEI-Vertreter ad absurdum geführt.

Das Reglement unterscheidet bereits jetzt im Strafmaß zwischen Disqualifikation und Ausschluss. Erstere gibt es, wenn ein Reiter seinem Pferd mit Sporen und/oder Gerte deutliche Verletzungen zufügt. Letzteren, wenn Blut zu sehen ist. Natürlich ist es bitter, wenn man den Traum von Olympia begraben muss. Oder wenn man fehlerfrei über den Umlauf des Großen Preises von Aachen gesprungen ist, aber wegen Blutes am Stechen nicht mehr teilnehmen darf. Aber hier geht es nicht um die Erfolge, Ziele und Träume des Reiters, hier geht es um die Pferde. Diese Maßnahmen sind richtig! Und zwar nicht in erster Linie wegen der Außenwirkung, sondern wegen der Abschreckung. Es muss weh tun, wenn man sein Pferd verletzt und seiner Verantwortung, sein Pferd gesundheitsfördernd zu trainieren und vorzustellen nicht gerecht wird. Auf die Unversehrtheit des Pferdes zu achten, ist die wichtigste Pflicht als Reiter. Tut er dies nicht, muss das Konsequenzen haben (wenn man schon nicht von allein aus Scham vor seinem Partner Pferd auf die Idee kommt …).

Die von allen Beteiligten getätigte Aussage, dass seit Einführung der Regel deutlich weniger Fälle mit Blut an der Flanke auftreten, zeigt, dass die Abschreckung funktioniert. Traurig, dass sie notwendig ist. Aber wenn die FEI es als Verband ernst damit meint, dass das Wohlergehen der Pferde über allem steht, täte sie gut daran, diese Regel beizubehalten. Und zwar nicht nur, weil eine Modifikation nach außen schlecht zu kommunizieren ist.

Dass es auch anders geht, zeigt übrigens der neue Weltcup-Sieger der Springreiter, Julien Epaillard. Am Rande der Etappe in Leipzig hatte er sich Zeit genommen für ein Gespräch und Einblicke in sein System gegeben, das ganz auf die Bedürfnisse der Pferde ausgelegt ist. Hier geht es zum Interview.