Gustav Steinbrechts Standardwerk „Das Gymnasium des Pferdes“ gibt es nun auch in italienischer Sprache. Die Reitmeister und Xenophon-Mitbegründer Klaus Balkenhol und Martin Plewa haben das Vorwort dazu verfasst, das wir vorab veröffentlichen dürfen.

Wenn im Zusammenhang mit der klassischen Reitlehre der Erhalt und die Weitervermittlung alter, bewährter Grundsätze gefordert wird, so gehen diese Grundsätze allein auf Gustav Steinbrecht (1808 – 1885) zurück, der in seinem Werk „Das Gymnasium des Pferdes“ eine heute noch gültige Systematik für die Ausbildung des Pferdes aufgezeigt hat. Sie beinhaltet auch die Ausbildung des Reiters als Voraussetzung für die Entwicklung von Sitz und Einwirkung, die ein sinnvolles Gymnastizieren eines Pferdes erst möglich macht.

Auch wenn das Werk Steinbrechts bis in die dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts teilweise etwas ergänzt bzw. überarbeitet wurde, bildet es doch weiterhin die wichtigste fachliche Grundlage für jegliche dressurmäßige Ausbildung und gymnastizierende Arbeit des Pferdes, unabhängig von seinem späteren Einsatzzweck oder sportlichen Einsatz. Der Hintergrund ist die Tatsache, dass Steinbrecht seine Systematik stets von der Natur des Pferdes hergeleitet und diese zur Grundlage methodischer Ausbildungsprinzipien gemacht hat. Viele seiner Erkenntnisse und der sich daraus ergebenden Ausbildungsgrundsätze sind später durch die Veterinäre Prof. Dr. Zietzschmann und Dr. Bürger von der Kavallerieschule Hannover wissenschaftlich bestätigt und mit den Erklärungen zur funktionellen Anatomie und Biomechanik erklärt worden, nachlesbar in ihrem wertvollen Buch „Der Reiter formt das Pferd“ (Erstausgabe 1939).

Auch wenn Gustav Steinbrecht nicht die militärischen Einsätze von Pferden im Sinn hatte, waren doch seine Aussagen die entscheidenden Inhalte der späteren Heeresdienstvorschriften, welche nach dem zweiten Weltkrieg (ab 1954) auch als fachliche Grundlage der in Deutschland erschienen „Richtlinien für Reiten und Fahren“ gelten. Das Steinbrecht’sche Vermächtnis beinhaltet nämlich die wichtigsten Forderungen zur Gesunderhaltung und Langlebigkeit des Pferdes, wichtige Anforderungen an ein Soldatenpferd. Alle Erklärungen zur Tragfähigkeit des Pferdes und zu seinem Gleichgewichtsverhalten unter dem Sattel sind unumstößliche, nicht widerlegbare und daher auch heute noch gültige Aussagen, die in der Ausbildung systematisch und konsequent zu berücksichtigen sind. In der militärischen Ausbildung der Pferde hatten die Erfordernisse des vielseitigen Einsatzes, der Belastbarkeit vor allem im Gelände mit unterschiedlichsten konditionellen Anforderungen sowie die effiziente Abstimmung zwischen reiterlicher Einwirkung und den Reaktionen des Pferdes zu einem selbstverständlichen „Gehorsam“ eine ganz bedeutende, für den Soldaten möglicherweise lebensrettende Bedeutung. Auch hierfür liefert Steinbrecht ausführliche Ausbildungshinweise, die sich im Sinne der Entwicklung einer Kampagneschule niederschlugen.

So ist es nicht verwunderlich, dass die Grundsätze, die im „Gymnasium des Pferdes“ ausführlich beschrieben und begründet sind, die Basis einer aktuellen Reitlehre bilden, auf die sich auch das FEI – Reglement des internationalen Pferdesports bezieht. Ihre Bedeutung wird unterstrichen durch die Tatsache, dass „Die klassische Reitlehre“ als immaterielles Kulturerbe in Deutschland anerkannt worden ist.

Die Aktualität dieses zeitlosen Werkes ist fachlich unbestreitbar, auch wenn sich der Pferdesport teilweise in die Richtung einer frühzeitigen Spezialisierung (fehl-)entwickelt hat. Die aktuell gültige Reitlehre gründet sich aber wie die Lehre Steinbrechts auf die Natur des Pferdes und ist damit ebenfalls von einer möglicherweise spezielleren Nutzung des Pferdes und seiner individuellen Veranlagungen unabhängig. Das Wesen des Pferdes in den Fokus jeglicher Beschäftigung mit dem Pferd zu rücken, erst recht in der Ausbildung und Förderung des Pferdes, erscheint derzeit notwendiger denn je. Die meisten aktiven Reiterinnen und Reiter haben nicht mehr das Privileg genießen können, von den ehemaligen Kavalleristen geschult worden zu sein, die selbst nach den auf Steinbrecht gründenden Vorschriften ausgebildet wurden. Umso wichtiger ist es jetzt erst recht, diese Lehre zu vermitteln und zu bewahren. Wir erfüllen damit eine wichtige Forderung unserer „Ethischen Grundsätze“, in denen es heißt: „Das Wissen um die Geschichte des Pferdes, um seine Bedürfnisse, sowie die Kenntnisse im Umgang mit dem Pferd sind kulturgeschichtliche Güter. Diese gilt es zu wahren und zu vermitteln und nachfolgenden Generationen zu überliefern“.

Insofern sind wir Daniele Tinti ganz besonders dankbar für die Bearbeitung und Herausgabe des bedeutenden Werkes von Gustav Steinbrecht. Damit wird es einer weiteren Gruppe von Pferdeleuten zugänglich, die sich für die ursprünglichen Grundsätze der Pferdeausbildung interessieren. Als Ehrenmitglieder und Mitglieder des Aufsichtsrates des Vereins „Xenophon“ ist es auch unser Bestreben, für den Erhalt dieser klassischen Reitlehre Sorge zu tragen.

Reitmeister Klaus Balkenhol

Reitmeister Martin Plewa

Rosendahl, Warendorf im Juni 2024