Mehr als zwei Drittel der Olympischen Spiele der Reiter 2024 sind Geschichte. Nur noch die Einzelentscheidung der Springreiter steht aus. Stand heute lässt sich zusammenfassen: Diese Spiele waren bislang ein Erfolg für den Pferdesport. Denn viel wichtiger als die Frage, wer in Paris die Medaillen gewinnt, war die Frage, wie die Reiterei sich der Welt präsentieren würde. Vor allem angesichts der schockierenden Eindrücke der prügelnden Charlotte Dujardin im Vorfeld. Doch zumindest bisher hat das Gros der Reiter wahrlich Werbung für den Pferdesport gemacht.

Der Auftritt von Jessica von Bredow-Werndl und Dalera – es war eine Vorstellung, die so manchem, der sich schon mal mit Pferdeausbildung befasst hat, Tränen der Rührung in die Augen getrieben hat. Eine solche Einheit mit dem Pferd, das wünscht sich jeder Reiter, egal auf welchem Niveau. Daran arbeitet man jahrelang. Jeder einzelne Tag, der einen das fühlen lässt, ist ein Geschenk, egal ob auf dem Turnier oder zuhause. Dass das auch für Jessica von Bredow-Werndl und Dalera nicht selbstverständlich ist, sah man teilweise im Grand Prix Special (wo es dennoch knapp zur Goldmedaille für Deutschland gereicht hat). Aber in der Kür war die Welt wieder in Ordnung. „Von gestern auf heute ging es nur um eine Sache und das war Vertrauen“, sagte Jessica von Bredow-Werndl später im Interview. „Das Einschlafen (nach dem Grand Prix Special) fiel ein bisschen schwer, aber dann habe ich gut geschlafen und bin heute morgen aufgewacht und habe mich einfach gefreut. Ich habe mich gefreut, weil ich nicht mehr für das Team kämpfen musste, sondern es ging einfach um Dalera und mich. Ich habe mich zum Glück schnell wieder daran erinnert, dass alles da ist. Sie kann alles, ich kann alles, wir sind genug. Und heute war es wieder diese perfekte Symbiose. Ich bin einfach überwältigt von ihr.“ Als sie das sagte, brach die Stimme der nun vierfachen Olympiasiegerin. Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.

Auch Michael Jung hatte feuchte Augen, als er zum dritten Mal Einzelolympiasieger der Vielseitigkeit wurde. Das ist historisch, das hat vor ihm noch kein anderer geschafft. Aber auch hier war es weniger die Tatsache, DASS Jung zum dritten Mal Olympiasieger wurde, als vielmehr das WIE, das einfach begeistern musste. Was die beiden in Versailles gezeigt haben, war lehrbuchreifes Reiten von der ersten bis zur letzten Minute. Den Cross ließen sie aussehen wie einen Stil-Geländeritt, immer im Rhythmus, immer in der Balance, Chipmunk mit gespitzten Ohren und im Ziel offenbar noch immer so frisch wie vor dem ersten Sprung.

Ähnlich spielerisch einfach sah der Auftritt von Chipmunks Ausbilderin Julia Krajewski mit ihrem Nickel aus. Eigentlich waren die Olympiasiegerin von 2021 (damals noch mit Amande de B’Néville, die nun ein Fohlen von Cascadello erwartet) und Nickel nach ihrem sensationellen Sieg beim CHIO Aachen als Ersatzpaar nach Paris gereist. Durch den Ausfall von Sandra Auffarths Viamant du Matz rückten sie ins Team. Der Numero Uno-Sohn Nickel, zehn Jahre jung, ist noch nie ein Championat gegangen. In Paris ist er über sich selbst hinausgewachsen. Er hat seiner Reiterin vertraut, dass sie ihm keine Aufgabe stellt, die er nicht meistern könnte. Und mit jeder Frage, auf die er die Antwort hatte, schien sein Selbstvertrauen ein Stück zu wachsen. Dabei waren sie erstes Paar im Gelände, eigentlich ein undankbarer Startplatz. Aber Meister-Ausbilderin Krajewski und ihr neuer Star haben vorgemacht, wie Geländereiten aussehen muss. Sie sei „so stolz“ auf den zehnjährigen Holsteiner, sagte Krajewski ein ums andere Mal. Fazit: Von den beiden wird man sicher noch hören!

Es gab noch viele andere Paare, die begeistert haben – die alten und neuen Olympiasieger aus Großbritannien, Silbermedaillengewinner Chris Burton mit seinem Shadow Man, aber auch solche, die gar nicht in die Nähe der Medaillen kamen, etwa die Marokkanerin Noor Slaoui mit Cash in Hand. Die 29-Jährige ist die erste Vertreterin ihres Landes, die es zu einer olympischen Vielseitigkeit geschafft hat. Als kleines Kind ritt sie auf Mulis, heuerte später als Pflegerin in Saumur an und zog schließlich nach England. Mit Vielseitigkeit hatte sie nicht viel am Hut, bis ein Bekannter den damals fünfjährigen Cash in Hand in einer Reitschule in Irland entdeckte. Der Schimmel, eine Mischung aus Irish Draught und Vollblut, hatte das, was Noor Slaoui gesucht hat: ein „Herz aus Gold“. „Weil ich gerade erst anfing mit der Vielseitigkeit, wollte ich ein Pferd, dem ich sofort vertrauen konnte, auch wenn er auf den ersten Blick nicht der talentierteste war.“ Allen Unkenrufen zum Trotz haben sie es bis nach Paris geschafft. Hier cruisten sie durch das Gelände, dass es eine Wonne war. Der Schimmel immer die Ohren vorn, die Reiterin mit feinem Stil und gutem Gespür fürs Tempo, was am Ende deutlich über der Idealzeit war, aber das trübte in keinster Weise den guten Eindruck, den sie hinterließen. Ihr gesamtes Turnier war ein Auftritt, der zeigte: Es sind keine leeren Worte, wenn Slaoui von ihrem „besten Freund“ spricht.

In der Dressur war es neben den „goldenen Queens“ zum Beispiel die Britin Becky Moody, die sich mit ihrem selbstgezogenen Jagerbomb in die Herzen der Zuschauer ritt. Der Grand Prix Special der beiden war eine Augenweide! Dann muss die Dänin Nanna Skodborg Merrald mit Zepter erwähnt werden. Nachdem Zepters Ausbilder Daniel Bachmann Andersen das Gestüt Blue Hors verlassen hatte, hatten andere Reiter Platz auf dem Rücken des großrahmigen Wallachs genommen. Sie vermochten es nicht, diesen Fuchs zum Strahlen zu bringen. Er sollte schon als Lehrpferd für die Blue Hors-Auszubildenden in die zweite Reihe geschickt werden. Doch mit Nanna Skodborg Merrald im Sattel kehrte sein Glanz zurück. Oder eine Wendy, mit Andreas Helgstrand immer etwas fest und spannig, unter Isabell Werth von Prüfung zu Prüfung verbessert und in der Kür von Paris mit einem Ritt, der auch die verdiente Goldmedaille hätte werden können, wäre das Dreamteam Jessi/Dalera nicht noch gekommen und hätte ein Schüppchen draufgelegt. So wurde es Silber.

Diese Bilder sind es, die zeigen, was den Pferdesport ausmacht. Jessica von Bredow-Werndl brachte es in einem Interview nach ihrem Ritt auf den Punkt: „Wir haben ,happy athletes‘ gesehen. Dalera verkörpert es. Sie hat ein schönes Leben und das ist unser aller Verantwortung, dass die Pferde auf die Wiese kommen, dass sie durch den Wald galoppieren dürfen. Dass sie mit positiver Verstärkung zu Höchstleistungen motiviert und nicht gezwungen werden. Und das strahlen wir, glaube ich, aus. Und genauso, wie wir es heute gezeigt haben, so ist es auch und man kann da nichts faken.“

Positive Verstärkung statt Zwang, das sollte eine Selbstverständlichkeit für jeden Ausbilder sein. Ist es nicht, da muss man sich nichts vormachen. Aber vielleicht können die alten und neuen Olympiasiegerinnen ein Vorbild sein. Man glaubt Jessica von Bredow-Werndl ihre Worte. Nicht nur, weil die Beweisbilder und Videos die sozialen Medien füllen, sondern vor allem, weil man die Einheit und die Motivation der Stute spürt und weil man sieht, wie entspannt und offenkundig mit sich und der Welt zufrieden diese 17-jährige Trakehner Stute auf ihrer Ehrenrunde durch das Stadion vor dem Schloss von Versailles galoppierte und passagierte. Das gleiche beobachtete man auch bei dem 16-jährigen Chipmunk. Die Reiter mit einer Hand dem Publikum winkend, ihre Pferde vollkommen bei ihnen und am Zwirnsfaden zu lenken. Bilder vollkommenen Vertrauens und absoluter innerer und äußerer Losgelassenheit. Zwei Pferde, die seit Jahren gesund im Spitzensport unterwegs sind, und zwar nicht als Adabeis, sondern als Olympiasieger. Hoffentlich bleiben diese Bilder in Erinnerung!