Die Hoffnungen waren groß, dass Paris die Spiele werden würden, die dem Reitsport seinen Platz bei Olympia sichern würden. Man wollte Pferdesport von seiner besten Seite sehen. Doch ein Skandal holte die Pferdewelt schon vor der Eröffnungsfeier ein: Die britische Olympiasiegerin Charlotte Dujardin ist in Paris nicht dabei – weil sie dabei gefilmt wurde, wie sie bei einer Trainingseinheit das Pferd einer Schülerin geschlagen hat. Die Videosequenz ist 59 Sekunden lang. Eine knappe Minute, in der die in der Mitte der Bahn mit einer Longierpeitsche „bewaffnete“ Dujardin 26 mal zuschlägt. Man sieht, wie sie mit Kraft ausholt, man hört, dass sie trifft. Und man sieht die Reaktion des Pferdes. Das Video endet, als sie zum 27. Schlag ausholt. Im Hintergrund Gemurmel und Gekicher an der Bande, als das Pferd mit Ausschlagen auf die Peitschenhiebe reagiert.
Was man sieht, erinnert an die Videos von Cesar Parra: sinnloses Einprügeln auf ein Pferd, das bereits sein Bestes gibt und keine andere Chance hat, als sich seinerseits durch Ausschlagen zur Wehr zu setzen. Wie verabscheuungswürdig dieses Verhalten ist, hat Dujardin selbst eingeräumt und gesagt, das sei ganz und gar nicht charakteristisch für sie.
Tatsächlich ist es das Gegenteil von Horsemanship und hat mit Ausbildung, wie sie in der Dressur eigentlich belohnt werden sollte, nicht das Geringste zu tun. Aber genau diese Art Ausbildung war es, die man eigentlich mit Charlotte Dujardin in Verbindung gebracht hat. Man hielt sie für „eine von den Guten“. Anders als Cesar Parra, der es sicherlich nie zu einem Championat geschafft hätte, würde er nicht für Kolumbien antreten, wo Dressurreiten eher ein Exotensport ist. Davon konnte die Szene sich leicht distanzieren. Aber in diesem Fall geht es um eine Reiterin, die dafür gefeiert wurde, dass sie bei ihrem ersten olympischen Gold 2012 in London eine neue Ära in der Dressur eingeläutet hat, weg von der Kraftreiterei hin zur Leichtigkeit. Dass ausgerechnet sie bei solchen Handlungen gefilmt wird, schockiert und wirft sogleich die Frage auf: Was geschieht sonst hinter den Kulissen? Nicht nur bei Dujardin.
Der Weltverband FEI hat Dujardin vorläufig gesperrt. Die Untersuchungen der Angelegenheit laufen. Der International Dressage Riders Club (IDRC) mit Isabell Werth als Vorsitzender und unter anderem Dujardins Mentor Carl Hester im Vorstand hat sich von Dujardins Praktiken distanziert. Doch wieviel Gewicht hat das angesichts dessen, dass Isabell Werth bei der letzten Olympiasichtung in Aachen sagte, wie „dankbar“ sie „Andreas“ (Helgstrand) sein könne, dass sie mit Wendy de Fontaine ein Pferd übernehmen konnte, das „bereit war“. Im November 2023 hatte der dänische Fernsehsender TV2 heimlich gefilmte Trainingspraktiken aus dem Stall Helgstrand ausgestrahlt, die den Eindruck erweckten, Tierquälerei sei hier institutionalisiertes Tagesgeschäft. Carl Hester war derjenige, der Charlotte Dujardin entdeckt und ausgebildet hat. Gut genug für drei Goldmedaillen. Und für was sonst?
Sicher, es wird kaum jemanden geben, der sich mit Pferden beschäftigt, der von sich behaupten kann, dass er nicht schon mal die Geduld verloren hat. Oder aus Unwissenheit Fehler gemacht hat. Oder auch wider besseren Wissens. Das ist ein Stück weit auch Teil jeder Beziehung. Auch Menschen untereinander tun einander Unrecht. Wichtig ist, dass man daraus lernt. Aber Menschen haben – in der Regel – die Wahl, ob sie sich aufeinander einlassen. Pferde können sich nicht abwenden und gehen. Sie sind uns ausgeliefert. Und das bringt einen zu dem weiteren Problem, das dieses Video offenbart: Den Gigglern an der Bande. Nein, es ist nicht lustig, wenn das Pferd nach der Peitsche schlägt. Es ist Ausdruck seiner Hilflosigkeit. Wie empathielos, roh und ahnungslos muss man sein, um das amüsant zu finden?
Dass nun Jahre nach dem Vorfall das Video ausgerechnet kurz vor Olympia an die Öffentlichkeit kommt, riecht sehr nach gezielter Ausschaltung einer unliebsamen Konkurrentin. Ob die Person, die nun durch einen Anwalt Anklage beim Weltverband FEI und dem britischen Verband British Dressage hat erheben lassen, identisch ist mit derjenigen, die filmt, ist unklar. Fakt ist jedoch, wäre es der Person, die bei der Szene anwesend war, ums Pferd gegangen, hätte sie nicht gefilmt und gekichert, sondern wäre eingeschritten. Wer zusieht, wie anderen Gewalt angetan wird, ohne einzuschreiten, macht sich ähnlich schuldig wie der eigentliche Gewalttäter.