Xenophon-Matin-PlewaIch hatte ich Gelegenheit, einige Turniere zu besuchen und z.T. auch einige Prüfungen zu richten. Dabei ist mir erneut aufgefallen, dass das korrekte Reiten auf Kandare von ganz vielen Reitern nicht beherrscht wird. Diese Beobachtung habe ich nicht nur in Prüfungen der Klasse L gemacht, sondern auch in Prüfungen bis zur höchsten Klasse.

Es ist anzunehmen, dass viele Reiter sich der Wirkung der Kandare auf das Pferdemaul gar nicht bewusst sind. Das Kandarengebiss wirkt als Stangengebiss vor allem auf die Zunge, weniger auf die Laden. Die Hebelkräfte führen zu einer Kraftverstärkung um das 4 – 6-fache im Vergleich zu einem gebrochenen Trensengebiss. Wird die Kandare zu stark angenommen, quetscht sie die Zunge und die Durchblutung des Zungenmuskels wird gestört. Manchmal ist eine Blaufärbung der Zunge erkennbar. Natürlich wehren sich die Pferde dagegen, zum Teil mit Aufsperren des Maules und sie lassen zusätzlich in ihrer Mimik große Unzufriedenheit erkennen (z.B. steif zurückgelegte Ohren, Falten über den Augen, hochgezogene Unterlippe, aufgerissene Nüstern).

Ausbilder und Richter müssen auf diese Ausdrucksmerkmale des Pferdes viel mehr achten und sie in der Beurteilung des Gehens des Pferdes und der Qualität des Reitens deutlich mehr berücksichtigen. Ziel jeglicher Ausbildung ist die Harmonie und hierfür sind die Zufriedenheit und das Wohlbefinden des Pferdes zwingende Voraussetzung. In einem früheren Newsletter hatte ich schon einmal angemerkt, dass das Wissen um das Ausdrucksverhalten des Pferdes bei vielen Reitern, Ausbildern und Richtern noch nicht ausreichend vorhanden ist. Überhaupt wird in der reiterlichen Ausbildung zu wenig Wert auf die Vermittlung der natürlichen Verhaltensweisen des Pferdes Wert gelegt. Folge ist, dass viele Reiter ihren Pferden menschliche Verhaltensweisen unterstellen und dabei nur allzu oft die „Schuld“ an fehlerhaftem Gehen dem Pferd geben, statt ihre eigenen reiterlichen Unzulänglichkeiten zu hinterfragen.

Es ist wirklich eine Unsitte, Pferde zu vermenschlichen (Anthropomorphismus), zumeist wenn ihnen Bösartigkeit, mangelnde Kooperation oder fehlender Lernwille zugeschrieben wird. Auf der anderen Seite wird Pferden Emotionalität abgesprochen, wie ich kürzlich gehört habe (wörtlich: „Pferde haben keine Emotionen“). Was für ein Unsinn! Inzwischen gibt es viele Forschungsergebnisse, die einerseits wissenschaftlich belegen, was man als Pferdemensch ohnehin schon vermutet hatte, andererseits aber auch zu ganz neuen Erkenntnissen geführt haben, mit denen man zu einem besseren Verständnis des Pferdeverhaltens gelangt.

Es lohnt sich wirklich, sich hierzu weiterzubilden, um Pferdeverhalten zu verstehen, ihre „Persönlichkeit“ zu erkennen, zu verstehen, wie sie lernen und wie man am besten und pferdegerecht mit ihnen kommuniziert.

An dieser Stelle darf ich ein gerade erschienenes Buch empfehlen, in dem die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft um das Pferd vorgestellt werden: „Forschung trifft Pferd“ (Autorinnen Frau Prof. Dr. Konstanze Krüger und Frau Dr. Isabell Marr), erschienen im Kosmos-Verlag. Hier werden die Forschungen mit den angewendeten Methoden beschrieben und erläutert, was die Ergebnisse für den Umgang mit dem Pferd, für seine Haltung und für Training und Ausbildung bedeuten. Gerade dieser Praxisbezug macht dieses Buch so besonders wertvoll für jeden Pferdefreund.

Ihnen allen wünsche ich nun viel Freude und Zufriedenheit mit ihren Pferden.

Herzliche Grüße
Ihr Martin Plewa