Im Februar ging der Totilas- Sohn Total US unter seinem Ausbilder Edward Gal seinen ersten Grand Prix bei einer nationalen Sichtung in den Niederlanden und erhielt über 80 Prozent. Die Videoaufnahmen des Auftrittes sorgten bei vielen für Entsetzen. Auch bei der zweiten Xenophon-Vorsitzenden Karin Lührs, selbst Grand Prix-Ausbilderin und -Reiterin sowie Richterin bis Klasse S.

Wenn ich mir das Video ansehe, bin ich traurig und entsetzt zugleich. Als Ausbilderin, Reiterin und Richterin weiß ich um die notwendige Demut gegenüber der Kreatur Pferd, die ich bei diesem Ritt deutlich vermisse. Wo bleibt der Takt? Weder in der Trabverstärkung noch in den Lektionen der höchsten Versammlung in Piaffe und Passage, ist das Pferd im korrekten Zweitakt. Im Galopp ist ebenfalls kein klarer Drei-, sondern eher ein Viertakt zu erkennen. Und dafür gibt es über 80 Prozent?

Auch wenn ich nur das Video beurteile, ist folgendes nicht wegzudiskutieren: Das Pferd ist während der gesamten Prüfung in deutlich zu enger Einstellung. Das Pferd soll suchen, der Reiter soll es gestatten, das Pferd zieht ans Gebiss – so schreibt die Klassische Reitlehre die korrekte Anlehnung vor. Dies ist in keinem Moment der Prüfung zu erkennen. Das Pferd ist zirzensisch dressiert, benutzt die Beine ohne den Rücken zu gebrauchen, ein typischer Schenkelgänger. Häufig zeigt das Pferd ungleiche Tritte. Ich möchte die Problematik der in meinen Augen zu hohen Bewertung einmal aus Richtersicht erläutern: Die erste Grußaufstellung unruhig und nicht geschlossen, Anreiten stockend und Störung vor C. Trabverstärkung nicht ganz im Gleichmaß und ohne erkennbare Rahmenerweiterung. Das Pferd fußt hinten zuerst auf.

„Summa summarum ist diese Prüfung geprägt von ungleichen Momenten in allen drei Grundgangarten.“

Die Traversalen lassen den klaren Zweitakt vermissen. Das Rückwärtsrichten mit deutlicher Unruhe und Spannung. Passage und Piaffe sind wieder nicht ganz im Gleichmaß, die Piaffe dabei mit nicht genügender Hankenbeugung und unzureichender Lastaufnahme. Das Pferd fußt hoch, aber nicht Richtung Schwerpunkt. Es ist sogar so, dass es sich mit dem Hinterbein nach oben abdrückt und dann erst das eigentlich diagonal fußende Vorderbein nachfolgt. In diesem Moment hat das Pferd eine Einbahnstütze auf der Vorhand! Im starken Schritt kein losgelassenes Schreiten, das Pferd traut sich nicht, den Hals fallen zu lassen. In der Galopptour springt das Pferd nicht durch den Körper, am deutlichsten wird dies in den Zick-Zack Traversalen, in denen das Pferd deutlich nickt und die Wechsel nicht korrekt durchspringt. Der Rücken ist fest.

Die Einer-Wechsel sind auch von hinten betrachtet nicht sicher durchgesprungen, nach den 15 Einer-Wechseln kommt es wiederholt zu einer Störung (diesmal bei K). Auch die Pirouetten springt das Pferd nicht durch den Körper, sondern steigt quasi, weil das Pferd die Bewegung nicht durch den Körper zulässt und den Rücken festhält. Der Charakter des Galoppsprungs geht verloren.

Summa summarum ist diese Prüfung geprägt von ungleichen Momenten in allen drei Grundgangarten. Das Pferd hat eine überragende Grundqualität mit enormer Mechanik und eine tolle Einstellung. Aber es präsentiert sich als Schenkelgänger, die Harmonie fehlt und das Pferd wirkt aufgrund mangelnder Gymnastizierung überfordert.

Wie kann es sein, dass dieser Ritt mit über 80 Prozent benotet wird? Das ist nicht das Ziel der Ausbildung eines Pferdes. Wie alle Mitglieder von Xenophon e.V. setze ich mich seit Jahren dafür ein, dass solche Bilder weniger werden. Mein und unser Ziel ist es, das Fluchttier Pferd zu einem zufriedenen, leistungsbereiten Reitpferd auszubilden. Dazu bedarf es der Gymnastizierung von A bis Z. Das ist unsere Aufgabe als Reiter und Ausbilder. Und wir Richter müssen dafür sorgen, dass falsches Reiten entsprechend benotet wird. Das ist hier nicht geschehen, und das macht mich traurig!

Aber wir von Xenophon haben uns auf die Fahnen geschrieben, die klassische Reitkultur im Sinne des Pferdes zu bewahren. Und das werden wir auch weiterhin tun! Vielleicht mit Ihrer Unterstützung?

Karin Lührs, 2. Vorsitzende Xenophon e.V.